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Sammlung de Santaren

Mittwoch | 08.06.2011 | 19.45 Uhr | zeise 2

 

Manuel de Santaren lebt in Boston und sammelt Videokunst. Auf dem Internationalen KurzFilmFestival Hamburg (IKFF) verlässt de Santaren mit seiner Kunstsammlung den weißen musealen Raum und begibt sich ins Kinodunkel. Mit seiner Präsentation bietet sich uns nicht nur die wunderbare Gelegenheit, zeitgenössische amerikanische Videokunst zu zeigen. Wir steigen darüber hinaus in eine aktuelle Debatte ein: Wie soll Film- und Videokunst präsentiert werden? Und ist sie nicht gerade im Wechselspiel zwischen den Konzentrationsräumen des Museums und den Sehnsuchtssälen des Kinos gut aufgehoben?

Die Sammlung von Manuel de Santaren umfasst mehr als 100 zeitbasierte Medien und gilt als eine der wichtigsten für zeitgenössische amerikanische Videokunst. De Santaren berät verschiedene Museen und künstlerische Einrichtungen in den Vereinigten Staaten und bereist in ihrem Auftrag auch die europäische Kunstszene. Er ist im Vorstand des Photography Commitee des Solomon R. Guggenheim Museum in New York und des Boston Museum of Fine Arts, wo er ebenfalls Mitglied im Board of Overseers und im Visiting Committee der Abteilung für zeitgenössische Kunst ist.

IKFF Woher rührt Ihre Leidenschaft für Videokunst?

 

Manuel de Santaren Meine ersten Objekte kamen zunächst aus dem Bereich der Fotografie. Mit den Jahren wuchs meine Sammlung und ich merkte, wie sehr mich die Standbilder aus Videoarbeiten faszinierten. Von diesem Moment an begann ich, mir die Videos, aus denen die Stills stammten, anzuschauen und ich hatte einen regelrechten Aha-Moment. Eine tief greifende Veränderung jedenfalls, die meinem Kunstinteresse eine neue Richtung gab, die ich bis heute nicht bereue.

 

Wodurch zeichnet sich Ihre Sammlung aus? Nach welchen Kriterien sammeln Sie?

 

Die Sammlung beinhaltet verschiedene Ausrichtungen: Performance-Arbeiten, Animationen, Arbeiten, die diverse Stop-Time-Techniken durchspielen, aus den Massenmedien adaptiertes Bildmaterial und – ein ganz neuer Bereich meiner Sammlung – dokumentarische Kurzfilme. Was die Kriterien betrifft, folge ich eher meinem Instinkt als einer Methodik. Ich schaue mir das jeweilige Gesamtwerk an und stelle mir mehrere Fragen: Hat der Künstler, wenn ihm historische Werke oder der Bilderfundus anderer als Inspirationsquelle dienen, trotzdem eine eigene Stimme oder Imprimatur, oder handelt es sich bei seiner Arbeit um ein reines Derivat? Wird die Arbeit durch ein Thema oder eine Handlung zusammengehalten? Steht die Ästhetik in direkter Beziehung zu der Handlung? Mit anderen Worten: Ist die Eigenschaft des ›Selbstgemachten‹ tatsächlich Bestandteil der medialen Arbeit oder ist der hohe Produktionswert aussagekräftig in Bezug auf die Geschichte? Diese Aspekte sind ausschlaggebend.

 

Welche Entwicklung machen Sie gerade unter den amerikanischen Videokünstlern aus?

 

In Amerika beobachte ich verstärkt das Wiederaufgreifen feministischer Kunst. Es gibt eine ganze Generation junger Künstler und Künstlerinnen, die sich mit den Frauen befasst, die bedeutenden Einfluss auf dieses Medium hatten. Meistens handelt es sich dabei um Performance-Arbeiten. Außerdem fällt mir auf, dass sich viele Videokünstler auf unterschiedlichste Weise mit Umweltfragen beschäftigen. Nicht immer im politischen Sinne, aber vielleicht mit der unbewussten Absicht, durch die Darstellung der Erhabenheit der Natur Menschen zum Nachdenken darüber zu bewegen, was wir unserem Planeten antun. Ich stelle auch fest, dass sich ein Trend entwickelt, vorhandenes Bildmaterial von Kultfilmen und TV-Sendungen zu verfälschen, um neue Betrachtungsweisen von etwas Vertrautem zu bewirken.

 

Museen und Galerien klagen, dass Videokunst schwer zu präsentieren bzw. zu verkaufen sei. Besucher nehmen sich selten Zeit, ausgestellte Filme und Installationen wirklich und ganz anzuschauen. Muss man sich nicht Gedanken um neue Präsentationsformen machen?

 

Es ist absolut notwendig, dass sich Museen und Galerien mit der Präsentation von Videos und Filmen befassen. Ich verbringe viel Zeit an diesen Orten und beobachte, wie sich die Leute Videos anschauen. Oft bleiben sie eine Minute stehen und gehen dann weiter. Das liegt zum Teil schlicht daran, dass die Werke ungünstig platziert oder installiert wurden. Wenn es keine Sitzmöglichkeit gibt, wie kann man dann erwarten, dass jemand 15 Minuten ausharrt, um die Arbeit ganz zu betrachten? Es muss für vernünftigere Ausstellungsräume gesorgt werden, an denen ein Betrachter das Werk so sehen kann, wie es gesehen werden soll. Problematisch wird es auch, wenn mehrere Werke gleichzeitig in einem großen offenen Raum ausgestellt werden und die Geräusche zu einer störenden Kakophonie verschmelzen. Das Museum of Fine Arts in Boston, das ich berate, entwirft gerade eine New Media Gallery, die von der Konstruktion her so beweglich und anpassungsfähig sein wird, dass sie die von den Künstlern gewünschte Präsentationsweise viel besser berücksichtigen kann.

 

Der Kunstszene und ihren Institutionen ist eher an einer Verknappung der Kunst gelegen, um einerseits den Wert stabil zu halten, besser noch zu steigern, und andererseits um in gewisser Weise ›Artenschutz‹ zu gewährleisten. Im Kino geht es eher um Multiplikatoren (Kopien-, Besucherzahl etc.). Verläuft hier der Graben zwischen den Seh-Räumen der Kunstszene und denen des Kinos?

 

Auf jeden Fall. Ich denke aber, dass man beide zu einem neuen Modell zusammenführen kann. Warum nutzt man nicht den Vorführungssaal eines Museums und veranstaltet eine ›Video Week‹, bei der die Besucher zu bestimmten Zeiten einige Arbeiten eines Künstlers oder einer Künstlergruppe anschauen können? Ich halte das für sehr interessant und es würde den Museen gute Besucherzahlen bescheren. Eine Patentlösung für alle Arbeiten ist das aber sicher nicht. Letztendlich müssen sich auch die Kunstschaffenden Gedanken darüber machen, wie ihre Arbeit gezeigt werden soll. Ich rede oft mit Künstlern über dieses Thema. Nicht um sie einzuschränken, sondern um sie anzuregen, sich das Konzept ihrer Werke in konkreten Räumen vorzustellen und zu überprüfen.

 

Welche künstlerischen Arbeiten passen Ihrer Auffassung nach gut in die imaginative Black Box des Kinos, welche brauchen die Fokussierung im White Cube eines Museums oder einer Galerie?

 

Epische Arbeiten, also Werke, die sowohl durch eine visuelle Gravitas als auch durch hochentwickelte, elaborierte Erzählungen charakterisiert sind, eignen sich am besten für die Black Box. Dann gibt es Künstler, die in beiden Räumen funktionieren. Claire Langham ist ein perfektes Beispiel. Ihre filmischen Werke sind absolut großartig und ihre Arbeiten, die auf Monitoren gezeigt werden, sind ebenso beeindruckend. Aber auf eine viel intimere Weise.

 

Weltweit gibt es nur wenige bedeutende Videokunstsammlungen. Sind Sie und Ihre Kollegen die letzten Dinosaurier dieses Mediums oder Propheten einer Renaissance der Videokunst?

 

Ich halte mich gerne für einen Propheten. Ich bin 53 Jahre alt und hoffe, dass mir noch viele weitere Jahre bleiben, um zeitbasierte Kunst zu sammeln. Ich betrachte das Medium als das vielleicht letzte Grenzland künstlerischen Ausdrucks. Und wann immer sich mir die Möglichkeit bietet, vor Sammlern zu sprechen, so versuche ich, dieses Evangelium zu verbreiten.

 

Viele Künstler wie Pipilotti Rist, Miranda July oder John Smith haben ihr Frühwerk zunächst auf Festivals wie dem Internationalen KurzFilmFestival Hamburg präsentiert, bevor sie ins Museum umzogen. Andere kehren aus den Ausstellungsräumen ins Kino zurück. Wie erklären Sie sich das?

 

Ich finde das ungeheuer spannend! Künstler setzen sich über die Grenze zwischen Kunst und Filmemachen hinweg. Als extremes Beispiel dafür nenne ich immer Shirin Neshat und ihren Langfilm ›Women Without Men‹. Viele, die bis dahin noch nie von ihr gehört hatten, wurden durch das Kino auf ihr außergewöhnliches Talent aufmerksam. So etwas wird es in Zukunft noch öfter geben. Viele Künstler sind schlichtweg frustriert, dass Werke, die 30 Minuten und länger sind, in den üblichen Ausstellungsräumen nicht vernünftig gezeigt werden. Das KurzFilmFestival ist der perfekte Ort für derartige Arbeiten. Einige von uns Dinosauriern fangen schon an, Kurzfilme als Ergänzung zu unseren Sammlungen zu sichten.

 

Sie sagen über sich, Sie seien Sammler und Philanthrop. Ist das die glücklichste oder die schwierigste Kombination?

 

Es ist eine bittersüße. Als Sammler verfolge ich die Karriere von Nachwuchskünstlern, berate sie, stelle sie Kuratoren vor, von denen ich hoffe, dass sie deren künstlerische Entwicklung auf dieselbe Weise unterstützen, wie ich es tue. Dann kommt der Zeitpunkt, an dem ich merke, dass die Arbeit einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden muss und ich gebe diese Schätze, die ich so lange gehegt habe, an Museen weiter. Zunächst spüre ich dann einen großen Verlust. Am Ende überwiegt aber die enorme Freude, dass ich einem Künstler und auch einer Institution tatsächlich helfen konnte.

 

Das Interview entstand im E-Mail-Austausch im Frühjahr 2011. Die Fragen stellten Birgit Glombitza und Mirjam Wildner.

 

Manuel de Santaren zeigt beim IKFF Arbeiten von Laurel Nakadate, TYPE A, Kate Gilmore, William Lamson und Marie Jose Arjona.

 

Das Programm:

MARIA JOSE ARJONA | White Series | 8:56 Min.

TYPE A | 4 Urban Contests | 5:02 Min.

KATE GILMORE | Standing Here | 8:46 Min.

LAUREL NAKADATE | American Gothic | 2:42 Min.

WILLIAM LAMSON | Compilation | 13:11 Min.

Gesamtlänge: 38 Minuten

Sammlung de Santaren

Internationales KurzFilmFestival Hamburg

Veranstalter: KurzFilmAgentur Hamburg e.V.

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Fax: +49-40-39 10 63 20 • eMail festival@shortfilm.com

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