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Mensch-Maschine: Wo sind die Roboter?

Mensch-Maschine: Wo sind die Roboter?

 

Welche Auswirkungen technische Entwicklungen auf künstlerische Prozesse seit der Entwicklung des Mediums Film haben, wollen wir im Programm ›Mensch–Maschine‹ anhand einiger Filmbeispiele zeigen.

 

Als Richard Wagner in seiner 1865 uraufgeführten Oper ›Tristan und Isolde‹ den sterbenden Helden fragen lässt: »Wie – hör‘ ich das Licht?«, nahm er vorweg, was bildende Künstler und Ingenieure seit der Erfindung des Lichttonverfahrens in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts systematisch erforschen sollten: die Beschreibung von Klang als visuellem Phänomen. Neben Oskar Fischinger, dem Erfinder der ›Tönenden Handschrift‹, experimentierten neben anderen auch der Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy, der Russe Evgeny Scholpo und der Kanadier Norman McLaren mit synthetischem Ton. Somit gehören sie zu den Pionieren der elektronischen Musik. Norman McLaren trug die Tonspur direkt auf den Filmstreifen auf, indem er entweder auf den Blankfilm malte, auf Schwarzfilm kratzte oder auf Film fotografierte. In seinem Film ›Pen Point Percussion‹ aus dem Jahr 1951 erklärt er diese Verfahren.

 

In ›Ballet Mécanique‹, dem einzigen Film des Malers und Grafikers Fernand Léger, den er im Jahr 1924 zusammen mit dem amerikanischen Filmer Dudley Murphy realisiert hat, choreographierte der Kubist alltägliche Gegenstände wie Töpfe, Pfannen, Geschirr, Besteck etc. derart, dass sie wie abstrakte Formen erscheinen. Automatisierte kinetische Skulpturen aus Kreisen, Dreiecken und auch Beinprothesen beginnen zu tanzen. Dieses Ballett der Maschinen und Objekte kombinierte er mit Found-footage-Material und verfremdeten Aufnahmen der französischen Künstlerin und Tänzerin Kiki de Montparnasse. Léger bezeichnete sein Experiment als »Film ohne Handlung« und stand damit den Künstlern des Absoluten Films sehr nahe. Die Komposition von George Antheil, in der neben Signalhörnern auch 16 mechanische Klaviere und sogar drei Flugzeugpropeller zu hören sind, klingt auch heute noch sehr frisch. Sie konnte wegen technischer Probleme bei der Premiere nicht live aufgeführt werden, was laute Proteste des Publikums auslöste, weil der Film schließlich stumm vorgeführt werden musste.

 

Etwa 40 Jahre später schrieb der langjährige Hamburger Opernintendant Rolf Liebermann eine ganze Symphonie nur für Maschinen. Seine Komposition ›Les Echanges‹, die er für den gleichnamigen Pavillon auf der Schweizer Landesausstellung in Lausanne 1964 kreierte, ist eine rhythmische Partitur für die diversen Apparate, die in den präsentierten Büros und Verkaufsstätten verwendet wurden. Der damalige NDR-Redakteur Hansjörg Pauli übersetzte die Partitur in Computersprache. Die Aufführungen des legendären Maschinen-Orchesters aus 156 Schreibmaschinen, Buchungsautomaten, Fernschreibern, Registrierkassen, Telefonen etc., das von einem elektronischen Steuergerät ›dirigiert‹ wurde, wurden zum Anziehungspunkt der Landesausstellung.

 

In ›Kontakte‹ vermischte Karlheinz Stockhausen synthetisch erzeugte Töne mit analogem Klang von Holz, Fell und Metall. Robert Breer entwickelte zu der Komposition einen abstrakten Animationsfilm. ›Kontakte‹ wurde im Rahmen des zweiten von Charlotte Moormann organisierten New Yorker Avantgarde Festivals 1964 als Teil der Komposition ›Originale‹ aufgeführt. Angeregt durch die Fluxusbewegung hatte Stockhausen seine Partitur ›Originale‹ um theatralische Elemente wie Performance, Lesung und Filmprojektion erweitert, die simultan stattfinden sollten. An dem Happening beteiligten sich neben Robert Breer und Charlotte Moormann unter anderem auch Alan Ginsberg und Nam June Paik.

 

Zwei Jahre später zerlegte Nam June Paik in ›Beatles Electroniques‹ die Illusionsmaschine Fernsehen, und zeigte, was es wirklich ist: ein Apparat zum Empfang von Daten und Bildpunkten. Manipuliert durch magnetische Störungen schlängeln sich die Beatles in dem Video als Lichtschlaufen und Wellen zur Komposition ›Four Loops‹ von Richard Kerner. Die Musik basiert auf verfremdeten Samples aus dem Lied ›A Hard Day’s Night‹ und gibt die Länge des Films vor.

 

Die für ihre Technikaffinität bekannte deutsche Band Kraftwerk, a.k.a. ›die Beatles der elektronischen Tanzmusik‹, inszenieren sich in ihrem Musikvideo ›Wir sind die Roboter‹ selbst als Maschinen. Eigens für die Band konstruierte Roboterpuppen führen einePerformance auf, die an Oskar Schlemmers entpersonifiziertes Theater erinnert. In ihrem Musikvideo ›Radioaktivität‹ (1975/2005) beginnt die Technik selbst zu sprechen. Geräte ahmen das gleichmäßige Geräusch eines Geigerzählers, durcheinander sausende Radiowellen oder die dissonante Strahlung von Uran nach. Aus dem Vocoder tönt es: »Ich bin die Stimme der Energie«, »...ich bin dein Diener und dein Herr...« In dicken Lettern blitzen als Hintergrundprojektion die Wörter ›Tschernobyl‹ und ›Harrisburg‹ auf, und man möchte den Schriftzug ›Fukushima‹ hinzufügen. Eine zum Glück harmlosere Kettenreaktion absurder Handlungen löst ein umfallender Dominostein in dem Musikvideo ›This Too Shall Pass‹ (2010) der US-amerikanischen Musikgruppe OK Go in der Regie von James Frost aus. Der Stein setzt eine sogenannte ›Rube-Goldberg-Maschine‹ in Bewegung. Deren Name bezieht sich auf die sinnlos komplexen Apparaturen aus dem Comic ›Professor Lucifer Gorgonzola Butts‹ (ab ca. 1921) des Cartoonisten Rube Goldberg. Diese Maschinen setzen sich aus lauter zweckentfremdeten Gegenständen und Materialien zusammen, die auf möglichst verblüffende und komplizierte Weise ineinander greifen, um eigentlich einfache Handlungen auszuführen. Rube Goldbergs Comic hatte auch schon die Schweizer Künstler Fischli und Weiss zu ihrem Video ›Der Lauf der Dinge‹ (1987) inspiriert.

 

Im digitalen Zeitalter bevölkern Musikrobotergruppen wie ›The Three Sirens‹ mit selbst komponierten Stücken wie zum Beispiel ›Robot’s Rock‹ (2002) einschlägige Videoplattformen im Internet. An die ›Arme‹ der ›Sirenen‹ montierte Kameras ermöglichen einen nahen Blick auf elektronisch gesteuerte Plektren und Kapodaster, die an den Saiten entlanggleiten und Sounds erzeugen, die an Jimi Hendrix erinnern. Heute ermöglicht Software die Visualisierung von akustischen Signalen oder transformiert Bilder in Klang. Die Kooperation des Animationsfilmers Robert Darroll mit dem Komponisten Sean Reed im digitalen Kosmos lässt immaterielle Klänge auf die immateriellen Vektorgrafiken der 3Dsoftware treffen und schafft so völlig neue Sphären. George Antheils Komposition für das ›Ballet Mécanique‹ wurde 2006 als schrittmotorgesteuerte Performance von Musikautomaten der New Yorker Gruppe ›Lemur‹ in der National Gallery of Art in Washington, DC neu aufgeführt. Angesichts der Atomkatastrophe in Fukushima und der Strahlengefahr für die Arbeiter dort fragen wir uns: Wo sind die Roboter?

 

Hanna Nordholt & Fritz Steingrube

Mensch-Maschine

Internationales KurzFilmFestival Hamburg

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Seite zuletzt geändert > 20.01.2012